Signiert von Ossietzky. Oder: „Ein bisschen halunkisch“. 

Jahr 2021. Meine Biografie über Maria Orska war im März herausgekommen. Einen Monat später, Mitte April, fahre ich nach Hamburg, um die Neuerscheinung meinen Lesefreunden vorzustellen. Meine Freundin Ingrid führt dort ihren „Literarischen Salon An der Alster“. Für die „Orska“-Lesung hat sie Bücher vorab direkt beim Verlag bestellt. Es wird ein schöner und langer Abend mit vielen netten Gästen. Als sich später der Kreis der Zuhörer allmählich auflöst, kommt eine Besucherin auf mich zu, die sich als Ingrids Nachbarin vorstellt. Sie möchte ihr Exemplar von mir signiert und zusätzlich mit einem Vers versehen haben. „Schreiben Sie bitte den Satz Carl von Ossietzkys, den Sie in Ihrem Buch zitiert haben“, erweitert und präzisiert sie ihren Wunsch. „Wissen Sie, ich wohne direkt gegenüber. In meinem Haus hat Ossietzky in den 1920er Jahren gelebt. Wir haben für eine Gedenkplatte neben dem Eingang geworben und gespendet. Achten Sie einmal darauf, wenn Sie morgen dort vorbeigehen.“ Ich verspreche es zu tun. Schreibe dann eine Widmung für die engagierte Dame auf das Frontispiz. Und etwas abgesetzt davon das Zitat mit dem Namen des Friedensnobelpreisträgers in Klammern darunter.

Jahr 2022. Als ich meine Freundin Susanne anrufe, sitzt sie vor ihrem Rechner. „Ich mache gerade eine Bestellung beim Antiquar. Der bietet übrigens auch sehr günstig deine ‚Orska‘ an. Soll ich sie für dich mit bestellen?“ Keine Frage! Die sieben Euro für mein Buch, das im Laden etwas mehr als das Dreifache kostet, sind ein Argument und gut angelegt. Für meine Lesungen und für Eigenwerbung habe ich immer einen Bedarf, und so ergreife ich die Gelegenheit beim Schopfe. Zwei Tage später folgt der Rückruf von Susanne. „Die Bücher sind da“, sagt sie, „auch deine Orska. Das Buch ist wie neu und außerdem … (Räuspern, kleine Atempause) … signiert.“ Oha! Da bin ich mal gespannt. – Zwei Stunden später nehme ich das Buch bei Susanne in Empfang. Es ist einwandfrei und wie neu. Die Dame aus dem Ossietzky-Haus hat es schonend behandelt. Und für 1,33 Euro an den Antiquar verhökert, wie ganz leicht und mit zwei Klicks auf der Tastatur des Rechners herauszufinden ist.

Jahr 2023. Seit dem Erscheinen von „Wotans Rabe“ Im Jahr 1997, meinem Buch über Cordelia Edvardson und ihre Mutter, die Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, sind 25 Jahre vergangen. Jetzt hat der Hanser Verlag Edvardsons Buch „Gebranntes Kind sucht das Feuer“ neu herausgegeben, versehen mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann. Ein Anlass für Ingrid, erneut zu einem „Salon“ mit mir zu laden. Ich stecke noch die signierte Orska in die Tasche, um Ingrid die Retoure zu präsentieren. Am Nachmittag vor der Lesung stehen wir auf ihrem Balkon. Unser Blick geht über die Dächer der Nachbarschaft und fällt auf das Gedenktafel-Haus der Nachbarin vis-à-vis. Wir schauen uns an, zwinkern mit den Augen. „Ist ja ein bisschen halunkisch“, bemerkt Ingrid lakonisch und ergänzt: „Lass das Buch bitte hier. Wir machen später was daraus.“

Nach meiner Lesung sitzen wir noch mit Freunden und einem Glas Wein in netter Runde beisammen. Plötzlich sehe ich, dass eine Besucherin noch am Büchertisch verweilt und die retournierte „Orska“ in der Hand hält. Rasch trete ich hinzu. „Entschuldigen Sie, dieser Band ist …“ –  „… signiert von Ossietzky“, fällt die Dame mir lächelnd ins Wort, „aber das macht nichts.“ Ehe ich mich versehe, hat sie einen Geldschein (passend 20 Euro) hingelegt und Ingrids „Salon“ verlassen.