„Bis hierher …“
Oder: Was ein Kirchenlied mit dem Fernseher zu tun hatte.
In den 1960er Jahren begann der Mittwoch für uns Schülerinnen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums Lünen verbindlich mit einem Kirchenbesuch in der ersten Stunde. Den Gottesdienst hielt unser alter Herr Pastor, der auch unser Religionslehrer war und stets ein wachsames Auge auf seine „Schäfchen“ hatte. Ich hockte mit meinen Freundinnen Inge und Karola meist geduckt und etwas verborgen vor seinem strengen Blick in einer hinteren Reihe, wo wir leise schwatzend seine Predigt (sowie die obligatorischen Mahnungen und Bußregeln) über uns ergehen ließen.
Einmal sangen wir stehend zum Eingang „Bis hierher hat mich Gott gebracht“ (Evangelisches Gesangbuch für Rheinland und Westfalen von 1961, Nr. 252). Als wir wieder brav in der Reihe saßen, flüsterte Inge, die uns immer bildungsmäßig einen Schritt voraus war, dass sie kürzlich mit ihrem Vater einen lustigen Film gesehen hätte. Inges Eltern waren die ersten bei uns im Dorf, die einen Fernseher besaßen, und natürlich beneideten wir unsere Freundin um die „Flimmerkiste“, die bei ihnen im heimischen Wohnzimmer stand. Ja, und in diesem Film, fuhr Inge aufgeregt und leise kichernd fort, hätten Gefangene mit dem Gefängnis-Geistlichen eben dieses Lied angestimmt. (Es handelte sich, was wir damals nicht wussten, um eine Szene aus dem „Hauptmann von Köpenick“ mit dem populären Heinz Rühmann in der Hauptrolle des Schusters Wilhelm Voigt von 1956.)
Karola prustete los, und auch ich konnte mir das Lachen nicht verbeißen. Beim Ausgang wurden wir von unserem Herrn Pastor angehalten: „In der Kirche lacht man nicht!“, wies er uns verärgert zurecht. „Und warum“, widersprach ihm die aufmüpfige Inge, die nie um ein Wort verlegen war, „erzählen Sie uns dann immer von der ‚Fröhlichen Botschaft‘?“ Der Pastor schien tatsächlich einen Moment verdutzt. „Es heißt die ‚Frohe Botschaft‘“, schaffte er es noch unsere schlagfertige Freundin zu verbessern. Wir schnappten unsere Ranzen und stürmten vergnügt davon.
Erschienen: Hastedter Gemeindebrief Sommer 2024.